Wenn man an Sport in Wales denkt, kommt einem vielleicht ein weißer, ovaler Ball in den Sinn. Doch während Rugby nach wie vor so etwas wie eine nationale walisische Obsession ist, erfreut sich eine andere Sportart in den letzten Jahren immer größerer Beliebtheit – eine Sportart, die oft noch engere Shorts erfordert.
„Der Radsport hat in den letzten zehn Jahren einen regelrechten Boom erlebt“, sagt Dr. Georgina Harper, Welsh Cycling's National Development Manager. „Seit 2014 hat sich die Zahl der Mitglieder in unseren angeschlossenen Radsportvereinen verdoppelt und die letzte Schulsportumfrage hat ergeben, dass fast die Hälfte der jungen Menschen Radfahren möchte.“
Die Waliser entwickeln sich schnell zu einer Nation von Pedalierern, ein Trend, der nach Ansicht von Dr. Harper teilweise durch die jüngsten Erfolge walisischer Radsportler auf der internationalen Bühne beflügelt wurde.
Elinor Barker und Owain Doull gewannen bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio beide Goldmedaillen auf der Bahn, während Geraint Thomas, ebenfalls Olympiasieger, 2018 als erster Waliser die Tour de France gewann und die walisische Nationalflagge über dem berühmten gelben Siegertrikot wehen ließ.
Etwas für jedermann
Wie durch ein Wunder haben alle diese Radsportler ihre ersten Erfahrungen mit dem Radsport im selben Radsportverein in Cardiff gemacht, dem Maindy Flyers Youth Cycling Club. Für Alan Davis MBE, der den Club mitbegründet hat und 2017 für seine Verdienste um den Sport mit dem MBE ausgezeichnet wurde, ist es keine Überraschung, dass Wales Spitzentalente hervorbringt.
„Wales hat alles, was man braucht, wenn es um Radsport geht. Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass es einen besseren Ort gibt, um aufs Rad zu steigen, Spaß zu haben und seine Fähigkeiten zu entwickeln“, sagt er.
Obwohl Alan eine Reihe von aufstrebenden Stars für eine Karriere auf höchstem Niveau gefördert hat, ist das, was er am meisten am Radsport in Wales liebt, die gute Zugänglichkeit.
„Wales ist reich an Einrichtungen“, sagt Davis. „Es gibt eine gleichmäßige Verteilung von Einrichtungen und großartige Strecken, die man im ganzen Land erkunden kann“.
Zu unseren besten Einrichtungen gehören der The National Closed Road Cycling Circuit im Pembrey Country Park, Carmarthenshire, und das Geraint Thomas National Velodrome of Wales in Newport. Zu den speziellen Routen zählen der Taff Trail, der Radfahrer vom Zentrum von Cardiff in die bewaldeten Täler von Brecon führt und der Ffordd Brailsford Way, ein Rundkurs, der durch einige der schönsten Landschaften von Snowdonia führt.
Viele dieser Strecken verlaufen zudem auf ausgewiesenen Radwegen abseits verkehrsreicher Straßen und sind somit ideal für Familien mit jüngeren Radfahrern.
„Das ist für mich das Tüpfelchen auf dem i: Es ist für jeden etwas dabei, egal wo und was man kann“, sagt Davis. „Außerdem ist die Landschaft wunderschön, was bei der Motivation zu anstrengenden Bergetappen beiträgt.“
Ab ins Gelände
Rachel Atherton, Mountainbike-Champion, ist eher daran interessiert, Hügel hinunter zu rasen, als sie langsam hinauf zu kriechen. Sie wuchs in den Bergen von Mittel- und Nordost-Wales auf.
„Ich fühle mich privilegiert, dass ich um die ganze Welt reisen kann, um meinen Sport zu betreiben“, sagt Atherton. „Aber es ist toll, nach Hause in unsere kleine Ecke von Wales zu kommen, mit dem Wissen, dass der Ort, an dem man lebt, genauso fantastisch ist wie jeder Ort, den man besucht hat.“
Genau wie beim Rennradfahren hat Atherton in letzter Zeit eine immer größer werdende Popularität des Mountainbikens festgestellt.
„Als wir hierher [nach Llanrhaeadr im Norden von Powys] zogen, gab es keine richtige Mountainbike-Szene. Jetzt gibt es im Umkreis von einer Stunde vier oder fünf gut ausgebaute Strecken.
Mountainbikeparks und -zentren gibt es inzwischen in ganz Wales. Zu den bekanntesten Beispielen gehören der Bike Park Wales in Merthyr Tydfil, Coed y Brenin (betrieben von Natural Resources Wales) im Eryri (Snowdonia) Nationalpark und Coed Llandegla (verwaltet von One Planet Adventure) in Wrexham. Alle Parks verfügen über eine Reihe von Trails, die sowohl für wackelige Anfänger als auch für erfahrene Profis geeignet sind, und oft werden auch Kurse und Fahrradverleih angeboten.
In Wales finden außerdem jährlich mehrere Mountainbike-Veranstaltungen statt, darunter die Dyfi Enduro, die seit 2001 ausgetragen wird, und das Red Bull Hardline, das als das härteste Downhill-Rennen der Welt bezeichnet wird.
Eine anspruchsvolle Landschaft
„Wenn ich in der Dyfi-Region fahre, habe ich das Gefühl, mit dem Land verbunden zu sein“, sagt Atherton. „Ich kann gar nicht anders, als dankbar für die Möglichkeit zu sein, die Natur unseres Heimatlandes so zu erleben, wie sie immer war – und dabei eine verdammt gute Zeit zu haben!“
Dieser Meinung ist auch Alan Davis. Es sagt, dass die walisische Landschaft nicht nur die Fahrer dazu verleitet, auf ihr Rad zu steigen, um sie zu genießen, sondern auch eine Geheimwaffe ist, wenn es darum geht, die Radsportstars der Zukunft aufzubauen.
„Die Leute fragen mich, ob der Erfolg von Geraint [Thomas] auf das Umfeld hier in Wales zurückzuführen ist und um ehrlich zu sein, ist es schwer, das zu bestreiten“, sagt Davis. „Unsere Küste, die Hügel und die Berge sind Anforderungen, mit denen man rechnen muss. Ich denke, sie haben Geraints Ausdauer – und seine Beine! – für Wettkämpfe wie die Tour de France geformt." Trotz aller radsportlichen Leistungen und Erfolge auf den großen Bühnen von Wales ist für die meisten Fahrer die walisische Landschaft der eigentliche Star der Radsportszene des Landes.