Als ich sieben Jahre alt war, wurde uns im Bereich Kunst beim Schul-Eisteddfod, dem alljährlichen Wettbewerb am 1. März, dem St David’s Day, dem Namenstag unseres Schutzheiligen, folgende Aufgabe gestellt:
"Zeichne ein Bild davon, was Wales dir bedeutet," wies uns unser Schulleiter an. Meine Freundin Sara zeichnete eine Narzisse. Meine andere Freundin Carol malte ein Förderrad einer Kohlengrube. Und ich? Ich habe Mervyn Davies, den Kapitän des ungeschlagenen Rugby-Teams von 1976 gezeichnet.
Ich konnte schon damals mein Gefühl der walisischen Identität nicht von den 15 roten Trikots und einem eiförmigen Ball trennen, und das kann ich heute immer noch nicht, obwohl jetzt andere Sportarten die walisische Flagge weltweit mit ählichem Stolz hochhalten. Wer könnte den Sieger der Tour de France Geraint Thomas vergessen, wie er den roten Drachen auf dem Podium in Paris hochgehalten hat? Und der Titel ‘berühmtester Waliser auf der Welt’ geht sicher an den Fußballspieler Gareth Bale, der mit seinen Mannschaftskameraden bei der Euro 2016 einen unauslöschlichen Eindruck hinterließ, als sie bis ins Halbfinale kamen.
Aber ich würde trotzdem behaupten, dass Rugby mit der walisischen Nationalität so verwoben ist wie kein anderer Sport. Man könnte sagen, dass Rugby geholfen hat, die walisische Nationalidentität zu schaffen. Als das Spiel sich am Ende des 19. Jahrhunderts ausbreitete und dann seine erste Blütezeit am Anfang des 20. Jahrhunderts hatte, empfing Wales den relativ neuen Sport mit offenen Armen, da er der kleinen Nation die Chance gab, zu den Besten der Welt zu gehören.
Carolyn HittIch konnte schon damals mein Gefühl der walisischen Identität nicht von den 15 roten Trikots und einem eiförmigen Ball trennen, und das kann ich heute immer noch nicht."
"Dies ist ein Spiel, das von den englischen Privatschulen nach Wales kam und dort zur Leidenschaft der Arbeiterklasse wurde," erklärt der Historiker Professor Gareth Williams. "Ab den 1890er-Jahren kommen große Zuschauermengen im Bereich von 30.000-40.000 Leuten zu Spielen. Die Medienberichterstattung nimmt zu, die Leute reisen von weit her an, um ein Spiel anzuschauen und die ganze Infrastruktur der Clubs entwickelt sich."
"Wir haben die Triple Crown, das heißt, dass das walisische Team England, Schottland und Irland im selben Turnier geschlagen hat, zum ersten Mal 1893 gewonnen und das führte dann zum goldenen Zeitalter ab 1900, wo Wales in 11 Jahren sechs Mal die Triple Crown gewinnen konnte. Und dann ist da natürlich noch der große Triumph von 1905, einer der Schlüsselmomente in der Kulturgeschichte von Wales, der Sieg über Neuseeland."
Dieser Sieg über die All Blacks aus Neuseeland war ein monumentales Spiel, eines, das ein dauerhaftes Vermächtnis hinterließ, nicht zuletzt die Tradition, die Nationalhymnen bei Länderspielen zu singen. Wales brachte der Welt dieses gesangliche Ritual, nachdem beschlossen wurde, die walisische Nationalhymne als taktische Antwort auf den furchteinflößenden Kriegstanz Haka aus Neuseeland zu singen.
Rugby ging uns zur selben Zeit in Fleisch und Blut über wie auch alle anderen Komponenten, die den Charakter des industrialisierten Wales ausmachen. "Die Welsh Rugby Union wird zur nationalen Institution im Zuge der Bestrebungen am Ende des 19. Jahrhunderts, nationale Körperschaften einzurichten," sagt Professor Williams. "Die WRU steht in einer Reihe mit der National University of Wales, der Nationalbibliothek (NLW) und dem Nationalmuseum. Diese Institutionen verkörpern das neue Nationalbewusstsein und die WRU sah sich selbst als ein Teil dieses wachsenden Nationalgefühls."
In den 1970er Jahren erlebte Wales eine ruhmreiche Ära, die das Spiel endgültig und über unsere Grenzen hinaus untrennbar mit walisischer Identität verband. Die Popularität des Spiels erreichte neue Höhen, die sich darin äußerten, dass Gareth Edwards, der beste Spieler des Jahrzehnts, eine Statue zu seinen Ehren in Cardiff bekam und das nur vier Jahre, nachdem er zum letzten Mal einen Pass vom hinteren Ende des Gedränges (Scrum) spielte.
Und das 21. Jahrhundert brachte Wales auch den Erfolg, der das Spiel weiter mit der Nationalidentität verbindet, angefangen von den Grand Slam und Six Nations Championships Siegen in den Jahren 2005, 2008, 2012, 2013 bis hin zum Halbfinale der Weltmeisterschaft 2011.
Beim letzteren Turnier machte Ken Owens auf sich aufmerksam, ein Spieler, der aus Carmarthen in Westwales stammt und der die Verantwortung, sein Land zu repräsentieren, schätzt und respektiert. Er hat bereits 60 Länderspiele im roten Trikot absolviert und jedes Mal bedeutet es ihm mehr.
"Je weniger Zeit man mit dem Trikot noch vor sich hat, desto mehr schätzt man es," sagt er. "Die Geschichte des roten Trikots kann auf fast 140 Jahre zurückblicken. Es ist niemals dein Trikot, sondern das Trikot deiner Nation. Du darfst es nur einige Zeit als Spieler tragen. Du hältst es in großen Ehren und du setzt alles daran, ein Zeichen zu setzen, bevor du es weitergibst."
Für Ken ist der Bund zwischen Rugby und der Nationalität am stärksten, wenn die Spieler auf dem Feld sich mit den Zuschauern auf den Rängen durch Worte und Musik verbinden. Er sagt: "Die Hymne zu singen ist ganz besonders. Wir haben schon einmal eine außergewöhnliche Hymne. Der Text unterscheidet sich sehr von dem der meisten anderen Hymnen."
"Es geht nicht um den Herrscher oder um Schlachten, es geht vor allem um die Menschen und das Land. Also glaube ich, dass die Hymne auch Kraft gibt. Wenn man sie mit tausenden Leuten im Stadion singt, ist das für sie eine Chance mit den Spielern eins zu werden. Sie fühlen sich als Teil von uns anstatt nur Fans zu sein, wie während des restlichen Spiels. Es ist eine unglaubliche Erfahrung."
Ken, dessen Schwester Vicky auch schon für Wales Rugby gespielt hat, erinnert sich an das erste Mal, als ihm bewusst wurde, wieviel das Spiel seinem Land bedeutet.
Er sagt: „Ich bin gerade erst zur Mannschaft gestoßen, als mir die Wichtigkeit schlagartig bewusst wurde. Ich kam eines Morgens aus dem Haus und der Müllmann, der sonst nie mit mir geredet hat, wünschte mir mit ‘Pob lwc penwythnos ‘ma’ viel Glück am Wochenende. Und da verstand ich zum ersten Mal, wie wichtig Rugby für die Waliser ist und wie sehr sie mitfiebern."
"Es ist einfach toll. Es ist auch eine große Verantwortung, wenn man für sein Land spielt, egal auf welchem Niveau, man ist in der Verantwortung, das Beste für sein Land zu geben, aber das ist keine Belastung. Es ist etwas, was man als Athlet genießen kann."